EZ versus Stadt

Einkaufszentren, kurz EZ, sind austauschbar. Jedwede Nachbarschaft zu konkreten Orten hat lediglich den Zweck der guten Erreichbarkeit. Wer sie erreicht und woher die Besucher stammen, ist unerheblich. EZ sind temporäre Orte; ihre "Halbwertszeit" beträgt etwa 5 bis 10 Jahre (was soviel heißt, dass in rund 15 Jahren das Ablaufdatum erreicht wird und damit Überlegungen virulent werden, an einem anderen Ort von Neuem zu beginnen). In ihrer prinzipiellen Austauschbarkeit sind sie egozentrische Zeichen, sie stehen für nichts anderes als für sich selbst.
EZ etablieren eine eindeutige Interessensphäre, dadurch funktionieren sie ebenso effizient wie unambitioniert und erweisen sich als so genannte Selbstläufer; die einzelnen Geschäfte brauchen sich auch nicht mehr extra hervorzutun, weder in der Gestaltung noch im Service. Für ein EZ sind komplexere Interessen, die nicht dem Umsatz dienen, der seine Existenz sichert, bedeutungslos. Es ist gewissermaßen ein einziges/r Schaufenster/Schauraum, in dem sich allein sein Endzweck widerspiegelt.

In einem EZ steht, wie der Name schon sagt, Einkaufen im Zentrum. In einer Stadt stand das Einkaufen nie im Zentrum, obwohl der Begriff Einkaufsstadt es besagt.

Eine Stadt ist nicht austauschbar, ihr Zeit-Konzept ist der Halbwertszeit eines EZ gegenläufig, d. h. an Entwicklung, nicht an Verfall orientiert. Darüber hinaus ist die Interessensphäre der Stadt unvergleichlich weniger eindeutig, desgleichen die Rolle der Menschen. Hier geht man zur Schule, zur Arbeit, treibt man Politik, gestaltet (fordert) seine Lebensinteressen (ein); sie ist Ort - Schauplatz und Ressource - der Sozialisation, des kulturellen Austausches, der Bildung, der Kunst, der Wirtschaft. Eine Stadt ist im Grunde die Realisierung komplexer Interessen, wie es in der Bedeutungsverwandtschaft der Begriffe "Polis" und "Stadt" zum Ausdruck kommt, und nicht im Geringsten ein Selbstläufer: Als ein in lebendiger Bewegung begriffener, vitaler Mentalitäts- und Handlungszusammenhang, bedarf sie einer permanenten Aktualisierung.

Die Tradition der Schaufenstergestaltung leitet sich von der auf die Stadt beschränkten Notwendigkeit her, Menschen im Vorbeigehen anzusprechen. Das Vorbeigehen ist eine Eigenschaft von Menschen, die auch andere als durch ein gezieltes Hingehen repräsentierte Interessen verfolgen. (Zu einem EZ geht man hin, deshalb wird in EZ vielfach schon auf Schaufenstergestaltung verzichtet; man begnügt sich mit Fenstern in den Verkaufsraum).

In einer Zeit vor der Konkurrenz durch EZ mag es genügt haben, die Schaufenster in einer Stadt einfach mit Produkten auszustatten. Diese Nachlässigkeit in der Ansprache der Menschen blieb mangels einer Alternative zu den Geschäften in der Stadt ohne Folgen. Durch die Konkurrenz der EZ ist die Stadt als eine komplexe Interessensphäre wieder in den Vordergrund gerückt. Nun, da sich unter dem Eindruck von EZ das vormalige Prädikat Einkaufsstadt zu einem bloß rhetorischen Attribut gewandelt hat, genügt es nicht mehr, Schaufenster wie in einem EZ zu gestalten. Denn mittlerweile ist die Stadt weder der zwangsläufige Ort, wie seinerzeit, da sie noch "Einkaufsstadt" sein konnte, noch ein beliebiger Ort, wie im Falle eines EZ. Man betreibt sein Geschäft nicht an einem, sondern durch einen konkreten Ort. Das hat Folgen für die Strategie.

Wenn in einem EZ Menschen als Kunden angesprochen werden, dann ohne sie zu vereinnahmen, denn sie besuchen das EZ in einer eindeutigen Absicht als Kunden. Sie gehen interessenkonform hin und verhalten sich interessenkonform. Es gibt keinen anderen Grund für den Besuch eines EZ als einzukaufen (bzw. sich dem Erlebnis Einkauf hinzugeben; aber das ist ein anderes Thema).

Eine Stadt wird jedoch nicht nur besucht, sie ist ein Lebensumfeld. In diesem Konzept ist Interessenkonformität prinzipiell negativ besetzt . Wenn in einer Stadt Menschen nur als Kunden angesprochen werden, dann bedeutet das Vereinnahmung, Reduzierung auf ein Stereotyp, in einem gewissen Sinn Diskriminierung. Vereinnahmende Ansprache der Menschen (als Kundschaft) zielt darauf ab, dass die Angesprochenen sich stereotyp (als Kunden) verhalten. Dieses Verhalten ist in einem uneindeutigen Umfeld jedoch weniger gut aufgehoben als in dem eindeutigen eines EZ. Wer in einer Stadt die Menschen nur als Kunden anspricht, schickt sie geradewegs ins EZ vor der Stadt.

Mit Genius Loci beabsichtigen wir, die komplexe Interessensphäre Stadt durch die Gestaltung von Schaufenstern exemplarisch (und symbolisch) anzusprechen. [ ]


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