04. _ 06. NOVEMBER 1999
INFORMATISIERUNG EREIGNET SICH DURCH INFORMATIONSTECHNOLOGIE ODER -SYSTEME
INFOLGE IHRER PERFEKTION, DEREN GRAD MISST SICH AN DER EIGNUNG VON WAHRNEHMUNGSOBERFLÄCHEN,
EIGENSINN ZU VERBERGEN. DIE WAHRNEHMUNGSOBERFLÄCHE IST UMSO UNDURCHSICHTIGER,
JE DISKRETER SICH STRUKTUR- UND FUNKTIONSHINTERGRUND ZU IHR VERHALTEN. STÖRFELDER
NAHM AUF DIE EIGNUNG VON KOMMUNIKATIONS- UND INFORMATIONSMEDIEN BEZUG, EINE
WAHRNEHMUNGSOBERFLÄCHE ZU ERZEUGEN, DER SICH DER SINN DES KOMMUNIZIERTEN
UND DER INFORMATIONEN UNTERORDNET.
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Die Motive für den Titel von LIQUID MUSIC II, STÖRFELDER, sind keinesfalls
vordergründig subversiver Natur, vielmehr soll Störung als Methode der
bzw. zur Erkenntnis exemplifiziert werden. Störfelder steht natürlich
auch für die Absicht, Erwartungshaltungen zu irritieren.
Der thematischen Anlage liegen Überlegungen zu Effekten zu Grunde, in denen
Mediatisierung als Begriff für eine Wahrnehmung der Umwelt gemäß
dem Filter der Medien, welche Umwelt vermitteln konkret wird. Wir bezeichnen
sie hier als Wahrnehmungsoberflächen von informationellen Vorgängen,
wobei unter Informationen ebenso Nachrichten wie Worte, Bilder, Klänge, Messdaten
etc., also Aussagen über Ereignisse jeglicher Art (im statistischen, nicht
wertenden Sinn) subsumiert werden.
STÖRFELDER nimmt vor allem auf die Eignung von Kommunikations- und Informationsmedien
bezug, EigenSinn zu erzeugen nämlich eine Vorstellung [anders gesagt: eine
Wahrnehmungsoberfläche] von Kommunikation und Information, dem sich der Sinn
des Kommunizierten und der Informationen unterordnet. Der Entwicklung eines UmWeltbildes
[bzw. eines Bildes von Information], an dem ein Individuum sein Verhalten in der
Umwelt orientiert [bzw. nach dem es die Information verarbeitet] prägen sich
zunehmend jene Bedingungen als Muster ein, unter denen die Informationen über
die UmWelt gestaltet werden. Dass diese Bedingungen im Hintergrund bleiben, ist
Voraussetzung; auch für das Genügen an der reinen Wahrnehmungsoberfläche
auf Kosten der Wahrnehmung der Gestaltung als Information konstruierendes Element.
Störung zielt auf den EigenSinn ab, der sich in Wahrnehmungsoberflächen
realisiert, um eine medienimmanente SinnKonstruktion erkennbar zu machen.
Auch in der informationstheoretischen Problemstellung haben solche Effekte ihre
Entsprechung. Direkt angesprochen wird dabei die Abhängigkeit der Größe
des Informationsgehaltes von der Codierung zur Übermittlung der Information:
die so genannte Entropie [der Ereignismenge]. Sie bestimmt die Differenz zur Vervollständigung
der Information über ein Ereignis [genauer gesagt: den Logarithmus der Zahl
noch fehlender Ja-Nein-Entscheidungen zur Information]. Mit Wahrnehmungsoberfläche
wird eine Art Ausgleichsgröße zwischen Ereignis und seiner informationellen
Gestalt als entropischer Effekt namhaft gemacht.
Beispielsweise ist die Wahrnehmungsoberfläche des Fernsehens nicht das Monitorbild,
sondern die störungsfreie Perzeption des Bildes. Störungsfrei heißt,
dass die Wahrnehmung nicht durch Überlegungen zum Senden und zur Aufbereitung
von Bildern gestört wird. Das gesendete Bild bezieht seinen primären
Charakter aus der technischen Bildstörung; erst sie signalisiert dem Betrachter
die Existenz eines aufwändigen Produktions- und Distributionsapparates im
Hintergrund. Dadurch wird die "Bildstörung" auch im übertragenen
Sinn zum Gegenstand der Betrachtung. Störfelder erzeugen durch Irritation
Transparenz.
Etymologisch schwingt im Begriff Information das lateinische informare in der
Bedeutung von eine Gestalt geben, formen mit. Sie betrifft die Information ebenso
wie den Empfänger, der durch sie geformt wird. Informiert werden heißt
so gesehen immer auch, in ein Format gesetzt, informatisiert werden.
Informatisierung ereignet sich durch InformationsTechnologie oder -Systemen infolge
ihrer Perfektion, deren Grad sich an der Eignung von Wahrnehmungsoberflächen
misst, EigenSinn zu verbergen. Die Wahrnehmungsoberfläche ist umso undurchsichtiger,
je diskreter sich Struktur- und Funktionshintergrund zu ihr verhalten.
STÖRFELDER sind Irritationen im diskreten Verhältnis der Dinge zueinander
und wirken, auch und gerade wenn sie ästhetisch codiert und technologischer
Natur sind, ihrer Anlage zufolge auf sich selbst zurück. Sie können
daher nie Kommentar im Sinne einer quellenbezogenen Informationserzeugung sein,
sondern immer nur ein Prozessieren von informationellen Vorgängen.
Heimo RANZENBACHER
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