04. _ 06. JUNI 1998

LIQUID MUSIC STAND IM ZEICHEN VON INTERFACES ZUR MUSIKPRODUKTION IN SITUATIVER ABHÄNGIGKEIT VON PUBLIKUM UND PERFORMER.


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LIQUID MUSIC WAR DER AUFTAKT ZUM PROJEKT LIQUID MUSIC, DAS SEITHER JÄHRLICH IN JUDENBURG IN FORM EINER DREI- BIS VIERTÄGIGEN VERANSTALTUNG STATTFINDET. MAßGEBLICH FÜR DAS PROGRAMM 1998 UND FÜR DIE ENTWICKLUNG DES PROJEKTES WAR VOR ALLEM DIE DOMINANZ DES "KULTUR-ANGEBOTES" DURCH MUSIK — UND DAS AUSSCHLIEßLICH IN FORM HISTORISCH GESICHERTER ÄSTHETISCHEN WERTVORSTELLUNGEN VON KLASSIK BIS POP. FOLGENDE ÜBERLEGUNGEN WAREN FÜR DAS PROGRAMM 1998 UND FÜR DIE ENTWICKLUNG DES PROJEKTES AUSSCHLAGGEBEND:

Die Stadt Judenburg forciert in der Programmgestaltung durch das Kulturamt ein kulturelles Angebot mit Schwerpunkt Musik, das einerseits historisch gesicherten ästhetischen Wertvorstellungen, andererseits einer manifest gewordenen Erwartungshaltung des Publikums entspricht. Höhepunkt des Veranstaltungsreigens dieser programmatischen Orientierung ist das seit 1989, jeweils im September veranstaltete Festival Judenburger Sommer.

Im Sinne eines "Kulturauftrages", der auch künstlerischen Äußerungen angesichts des kulturellen Wandels Rechnung trägt, ist nun eine vorerst als Versuchsreihe ausgewiesene Veranstaltung geplant, die geeignet ist, das Thema dieser Neuen Kunst exemplarisch darzustellen. Ein didaktisches Rahmenprogramm soll diese Intentionen unterstützen.

Der Titel des Vorhabens lautet LIQUID MUSIC.

Zusätzlich zur finanziellen Unterstützung stellt die Stadtgemeinde die technische und räumliche Infrastruktur, weiters die für Öffentlichkeitsarbeit [Bewerbung und das didaktische Programm] sowie für die Betreuung der KünstlerInnen notwendige Infrastruktur. Außerdem übernimmt das Kulturbüro die Abwicklung sämtlicher finanzieller Agenden.

Die künstlerische Achse des ersten Programmes LIQUID MUSIC bilden die Projekte Irregular, The Virtual String und Akupunkturpunkte. Für diese Bespiele einer Kunst, die "kulturelle Relevanz" als bestimmende [ästhetische] Größe anführt, soll unter Rückgriff auf die vorhandene Infrastruktur des Veranstalters, Stadtgemeinde Judenburg, ein der Vermittlung des Neuen entsprechendes Umfeld aufbereitet werden.

Unter dem oben angesprochenen "kuIturellen Wandel" wird insbesondere der Übergang von der organischen Industriegesellschaft in jenes vielgestaltige Informationssystem verstanden, in dem eine alle Lebensbereiche betreffende Neuorientierung notwendig wurde. Durch LIQUID MUSIC soll diese Neuorientierung – ob sie nun das Soziale betrifft, die Idee vom Individuum [als Souverän], Handlungs- und Interessenszusammenhänge im Bereich der Politik oder der Wirtschaft [mit Folgen, die schließlich auch Judenburg ereilt haben] – im Bereich der Neuen Kunst thematisiert werden.

Das Prädikat "neu" bezieht sich dabei weniger auf die im Erfassungsbereich neuerer ästhetischer Theorien befindlichen Ausprägungen des Mainstream, der auch die traditionellen Disziplinen der [Bild-, Objekt-, Musik-, Tanz- etc.] Kunst einschließt, sondern auf die infolge neuer Organisations- wie Produktionsformen geänderten Paradigmen der Rezeption. Bezeichnend dafür ist etwa die Eigenschaft der Kunst, nicht mehr nur als fertiges Produkt hingestellt und betrachtet werden zu können; sie tritt vielmehr in ein funktionales Verhältnis zum Betrachter und bezieht aus diesem Verhältnis ihre Gestalt. Die Darlegung, dass diese Auflösung der gewohnten Verhältnisse nicht dem schieren Spieltrieb der Künstler entstammt, sondern ihr Modell im Paradigmenwechsel der gesamten Kultur hat, wäre ein Ansatz zur Förderung des Verständnisses der Projekte.

Didaktik und Öffentlichkeitsarbeit betreffend, gehen wir von der Überlegung aus, dass herkömmliche Formen der Bewerbung und Vermittlung bei Veranstaltungen der geplanten Art in einem unvorbereiteten Umfeld weniger tauglich sind als bei Veranstaltungen traditioneller Kunst. Die bloße Ankündigung bezieht ihre Tauglichkeit gegenüber dem Traditionellen oder Populären zuletzt nur aus dem Umstand, dass die Einschätzung des Gegenstandes durch die Adressaten zumindest als im kulturellen Wertekanon bereits generalisiert erfolgt. Das heißt: für die Wertschätzung beispielsweise von Mozarts Musik ist deren Verständnis nicht mehr Bedingung [bestenfalls wünschenswert]. Die Bewerbung eines Mozart-Konzertprogrammes wird implizit als im Dienst der Pflege des spezifischen kulturellen/ästhetischen Verständnisses wahrgenommen; es bedarf keiner ausdrücklichen Vorstellung dieser Intention.

Die Präsentation einer Kunst, deren Ästhetik auf einem sich wandelnden Verständnis unserer Kultur beruht, ist jedoch bar einer solchen Voraussetzung. Allerdings kann [und sollte] aus der Notwendigkeit, die Präsentation im Vorfeld informativ und edukativ aufzubereiten, eine organisatorische Tugend entstehen.

Ziel des didaktischen Vorgehens ist es jedenfalls, über die Mobilisierung des Interesses hinaus die Möglichkeiten zu schaffen, dass ungeachtet des persönlichen Gefallens an den Aufführungen im Nachhinein über sie geredet – also im Kopf das Denken im Bauch relativiert – werden kann.

Mittel zu diesem Zweck sind sowohl organisatorische und finanzielle als auch [und vor allem] künstlerische Transparenz sowie der Einsatz aller Werbemedien – z.B. des gemeindeeigenen Kabel-TV oder der Gemeindezeitung – als Informationsmedien sowie das Angebot eigener Diskussionsabende.

Die Auswahl der Projekte erfolgte daher bereits im Hinblick auf die Fähigkeit und Bereitschaft der KünstlerInnen, die Projekte, ihren Funktions- und spezifischen Sinnzusammenhang zu erklären.

Die Projekte selbst zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre ästhetische Gestalt auf Grund ihrer interaktiven bzw. auf Interface-Technologien beruhenden Organisationsstruktur und in Bezug auf das Publikum entwickeln. Die aktive Rolle, die ihm somit zukommt, ist ebenfalls ein Motiv, es im Vorfeld für die Veranstaltungen zu gewinnen.

Heimo RANZENBACHER

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