02. _ 04. AUGUST 2001

CHECKPOINTS SIND STELLEN, DIE PASSIERT WERDEN MÜSSEN, UM IN EINE EINE ZONE ÜBERZUWECHSELN, WO ANDERE BEDINGUNGEN ALS IN DER, DIE MAN VERLÄSST, HERRSCHEN; ES SIND INDIKATOREN FÜR DIE BEVORSTEHENDE ERFAHRUNG DES FREMDEN. IM SINNE VON GRENZSTATIONEN SIND CHECKPOINTS AUSDRUCK DER BEDINGUNGEN, UNTER DENEN SOLCHE EINRICHTUNGEN FÜR NOTWENDIG ERACHTET WERDEN. IM SINNE VON LIQUID WURDEN MIT CHECKPOINTS STELLEN ANGESPROCHEN, WO WO MENSCHEN DEN ÜBERGANG IN ETWAS FREMDES BZW. DIE GEGENWART VON ETWAS FREMDEM "CHECKEN" [ERFAHREN].


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CHECKPOINTS sind Stellen, die passiert werden müssen, um in eine eine Zone überzuwechseln, wo andere Bedingungen als in der, die man verlässt, herrschen; es sind Indikatoren für die bevorstehende Erfahrung des Fremden. Checkpoints [ im Sinne von Grenzstationen ] sind Ausdruck der Bedingungen, unter denen solche Einrichtungen für notwendig erachtet werden. CHECKPOINTS im Sinne von Liquid Music sind jedoch nicht Stellen, wo Menschen gecheckt werden, sondern wo diese den Übergang in etwas Fremdes bzw. die Gegenwart von etwas Fremdem "checken" [erfahren]. Mit dem Fremden sind schlicht Effekte gemeint, die im weitesten Sinn unter den Bedingungen der Konnektivität gezeitigt werden aber unter der Wahnehmungsoberfläche verborgen bleiben.

DAS FREMDE
Thematisch fokussiert CHECKPOINTS daher das Fremde. Bestimmend ist dabei die Annahme, dass eine Kultur der zunehmenden Vernetzung mit der Veränderung im Verhältnis der Dinge zueinander die Dinge selbst in eine Art Ereigniszustand überführt. Die Theoretisierung des Fremden [>] wird [z.B.] durch die Unterscheidung zwischen Ort und Raum skizziert — wenn wir Ort als die Ordnung definieren, in der die Dinge ihre Plätze haben, finden und also erkennbar sind, und Raum dagegen als das Verhältnis der Dinge zueinander, wenn sie in Bewegung geraten, sich in einem zeitlichen Fluss befinden und sich ihre Gestalt dem Beobachter nur mehr indirekt, durch Vektoren, Richtung, Geschwindigkeit, mitteilt. Raum ist gleichsam, wenn die Dinge ver- bzw. entrückt werden. Raum entsteht mit der Auflösung der Ordnung des Ortes zu Gunsten einer neuen Ordnung, eines Ortes, zu dem Raum temporär gerinnt. Der Raum, in dem sich die Dinge in einem Ereigniszustand befinden, ist die Domäne einer Kunst, die sich systemisch organisiert. Das Fremde ist der Ereigniszustand, in den mit Vertrautheit assoziierte Dinge überzuwechseln im Begriff sind.

TRANSITION
Für die Stadt — ebenso wie für unsere Kultur, als deren Modell Liquid Music den Topos Stadt ja apostrophiert — dürfte heute mehr denn je Umberto Ecos Mutmaßung über ein Neues Mittelalter [1972] gelten, das eine Epoche der "permanenten Transition" sein werde und nach "neuen Adaptionsmethoden" verlange. "Es wird, wie in Ansätzen schon zu sehen ist, eine Kultur der laufenden Neuanpassung entstehen, die sich an Utopien nährt." [> Über Gott und die Welt, Carl Hanser Verlag München Wien 1985, S 33]

"Wir brauchen", schreibt Lewis Mumford, "eine neue Ordnungsvorstellung, welche den organischen und persönlichen Bereich umfaßt und schließlich alle Aufgaben und Verrichtungen des Menschen umgreift. Nur wenn wir zu solcher Vorstellung vordringen, werden wir imstande sein, für die Stadt eine neue Form zu finden." [5]

DIE STADT
Eine Stadt umfasst stets mehr als direkt zu erkennen ist; die Bedingungen, unter denen sie existiert, sind sozialer, wirtschaftlicher, informationeller, logistischer, legistischer ... und damit nicht nur dinglicher Natur. Judenburger ist zum Beispiel, wer in dieser Stadt wohnt. Identifiziert man sich aber durch mehr als eine bloße Adresse mit der Stadt — wie ist dann das Verhältnis, wenn ihre [und neue] Existenzbedingungen abseits ihrer direkten Einflusssphäre entstehen? Begreift man eine Stadt in Abhängigkeit von Dingen und Bedingungen außerhalb ihrer primären tektonischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnungen, ihrer politischen Konstellation und ihren topografischen Mustern [wie Hauptplätzen und -straßen, Einkaufsvierteln, Wohnbezirken etc.], dann vollzieht ihr Image, das sie daraus bezogen, konstruiert und kultiviert hat — nämlich identifizierbarer Ort zu sein, mit dem man seine Bewohner identifizieren können — , einen Wandel hin zu einem [wenn man so will] erratischen Ikon. Dieser im Prozess der Globalisierung begründete Wandel hat nicht zuletzt auch eine Verlagerung der Bedeutung ehedem urban begründeter Topografien bewirkt. Die Hauptstraße einer Stadt ist heute weniger die Straße ins bzw. durchs Zentrum, sondern die Anbindung der Stadt an Verkehrsadern, die Unternehmen in Sinne ihrer Ansiedelungspolitik fordern. Für die Stadt als Ort mit zunehmend räumlichen Implikationen gilt, was bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben verstärkt zur Maxime wird — eine Abwendung von der Orientierung an der so genannten "vertikalen Integration", die durch Faktoren wie Löhne, Kosten von Grund und Boden, von Energie bestimmt war, zu Gunsten einer "horizontalen Integration", die durch Synergie gekennzeichnet ist — z.B. durch in der Nähe angesiedelte Betriebe, die günstige, zeitgerechte und qualitätsorientierte Zuliefererung anbieten. [Das wirtschaftstheoretische Schlagwortregister hält dafür "Kostenkonkurrenz versus Zeitkonkurrenz" bereit.] Während jedoch "schwarze" oder "rote" Zahlen einem wirtschaftlichem Denken zu Grunde liegenden Bewusstsein förderlich sind, die Herausforderungen des Wandels anzuerkennen, fällt im Alltag die Erkenntnis, dass die Dinge verrückt spielen und die lange vertraute Ordnung des Ortes, die einem Identifikation bot, in etwas Fremdes verwandeln, naturgemäß schwerer. Die radikalen Veränderungen, die im Gange sind, scheinen die meisten unvorbereitet zu treffen.

VERORTUNG > ENTORTUNG
Für die Stadt als Modell einer Kultur im Prozess der Globalisierung spricht z.B. die von Lewis Mumford mit Verweis auf Patric Geddes' Begriff der Konurbation [im Sinne von Agglomeration] notierte Beobachtung der Entstehung einer allgemeinen, also von Ballungsräumen unabhängigen, "Konurbation", welche in keinerlei Beziehung mehr zu einem innerlich zusammenhängenden Kern oder zu einer äußeren Begrenzung stehe. "Die über sich selbst hinausgewachsene geschichtliche Stadt war auch zuletzt noch eine Einheit; die Konurbation ist ein Nichts und verfällt diesem Chaos umso mehr, je weiter sie sich ausbreitet [>3] Die Stadt, dtv 1980, Seite 631 ff] > dazu auch Eco: "Das Problem wird nicht so sehr darin liegen, die Vergangenheit wissenschaftlich zu konservieren, sondern Hypothesen über die Nutzung des Chaos aufzustellen, indem man sich auf die Logik der Konfliktualität einläßt." [4] Für die Wirtschaft einer Region gilt allgemein, dass sie ohne Herausbildung spezifischer Kompetenzen, die auf hoch qualifizierten Kooperationsbeziehungen beruhen, erbarmungslos in die Globalisierungsfalle gehen [> DDr. Michael Steiner in Innovation & Wandel]. Allem Anschein nach hält jedoch der Wandel auch für das Alltagsbewusstsein eine Globalisierungsfalle bereit, deren Auswirkungen vor allem im Sozialen zu orten sind. Darüber hinaus erscheinen so genannte Kulturprogramme mit ihrer Dominanz an Veranstaltungen, die gesicherte Ästhetiken repräsentieren, oft als Indikatoren für den Widerstand des Bewusstseins, sich in Beziehung zu einem Anderen zu setzen, das den Ort ebenso revolutioniert wie dessen Verhältnis zum Raum. Dadurch wird der Entwicklung der Stadt zu einem symbolischen Ort Vorschub geleistet, der gleichsam im Widerstand gegen die zunehmende Vieldeutigkeit im Wandel der Beziehungen beharrlich Eindeutigkeit imaginiert, während der vorgebliche Ort zusehends zum Raum mutiert. Am Ende dieser Entwicklung bilanziert die Stadt vermutlich mit "roten Zahlen". "Wir brauchen", so Mumford, "eine neue Ordnungsvorstellung, welche den organischen und persönlichen Bereich umfaßt und schließlich alle Aufgaben und Verrichtungen des Menschen umgreift. Nur wenn wir zu solcher Vorstellung vordringen, werden wir imstande sein, für die Stadt eine neue Form zu finden."

IRRITATION
Nach diesen- rudimentären- Gesichtspunkten verbindet sich mit den möglichen Ausformungen von Checkpoints die Notwendigkeit höchst diskreter Irritationen, um sie gleichsam unverhofft erfahren zu können. Die Erfahrung des Wechsels vom Beobachter/Publikum [oder, im öffentlichen Raum, vom Flaneur] zum "Transiteur" sollte so zu einer Art kognitiven Checkpoint werden.

TEMPORÄRE CHECKPOINTS
Für CHECKPOINTS wird die Einrichtung "temporärer Checkpoints" in Form von Installationen im öffentlichen Raum durch geladene KünstlerInnen in Betracht gezogen. Temporäre Checkpoints sollten so diskret wie nur irgend möglich sein, um zu gewährleisten, dass ihre Wahrnehmung unvermittelt erfolgt. Überlegungen dazu sollten mit der Absicht angestellt werden, Passanten mit der Erfahrung eines momentanen Wechsels vom Flaneur zum "Transiteur" zu konfrontieren und so eine Art kognitiven Checkpoint zu situieren..

Heimo RANZENBACHER

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