03. _ 05. AUGUST 2000
WENN WIR ORT ALS DIE ORDNUNG DEFINIEREN, IN DER DIE DINGE IHRE ANGESTAMMTEN
PLÄTZE HABEN UND ALSO ERKENNBAR SIND, RAUM DAGEGEN ALS DAS VERHÄLTNIS
DER DINGE, WENN SIE IN BEWEGUNG GERATEN, SICH IN EINEM ZEITLICHEN FLUSS BEFINDEN
UND SICH DEM BEOBACHTER NUR MEHR INDIREKT, DURCH VEKTOREN, RICHTUNG, GESCHWINDIGKEIT,
MITTEILEN, DANN IST RAUM GLEICHSAM DER ZUSTAND, IN DEM DIE DINGE "VERRÜCKT"
WERDEN. DER RAUM, IN DEM SICH DIE DINGE IN EINEM EREIGNISZUSTAND BEFINDEN, IST
DIE DOMÄNE EINER KUNST, DIE SICH SYSTEMISCH ORGANISIERT.
STADTSIGNATUREN BESCHÄFTIGTE SICH MIT DER BEDEUTUNG, DIE EINE KULTUR DER
VERNETZUNG FÜR EINE STADT HAT, WENN DIESE NICHT MEHR NUR DURCH UNMITTELBAR
ZUGÄNGLICHE DINGE ZU BEGREIFEN IST UND SICH MIT BEDINGUNGEN KONFRONTIERT
SIEHT, DIE NICHT MEHR "HAUSGEMACHT" SIND.
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Eine Stadt umfasst stets mehr als direkt zu erkennen ist; die Bedingungen, unter
denen sie existiert, sind sozialer, wirtschaftlicher, informationeller, logistischer,
legistischer ... und damit nicht nur dinglicher Natur.
Judenburger ist zum Beispiel, wer in dieser Stadt wohnt. Identifiziert man sich
aber durch mehr als eine bloße Adresse mit der Stadt wie ist dann das
Verhältnis, wenn ihre [und neue] Existenzbedingungen abseits ihrer Einflusssphäre
entstehen? Was sind deren "Signaturen"?
Entwickelt/präsentiert werden sollen exemplarische Vorstellungen davon, was
eine Stadt in einer globalisierenden Kultur ist. Erzeugt werden sollen "Images"
aus Anmerkungen und Bemerkungen zu Judenburg, aus Bildern und Klängen von
Judenburg, aus Bildern und Klängen zu Judenburg. Ein Stadtportrait, das aus
der Erfahrung der Stadt heraus entsteht und im Entstehen Vorstellungen und Bilder
über die Stadt hinaus entwirft und in die Ortlosigkeit projiziert.
Zur [unseres Erachtens hilfreichen] Unterscheidung definieren wir Ort als die
Ordnung, in der die Dinge ihre Plätze haben, finden und also erkennbar sind,
Raum dagegen als das Verhältnis der Dinge, wenn sie in Bewegung geraten,
sich in einem zeitlichen Fluss befinden und sich ihre Gestalt dem Beobachter nur
mehr indirekt, durch Vektoren, Richtung, Geschwindigkeit, mitteilt. Raum ist gleichsam,
wenn die Dinge verrückt werden. Raum entsteht mit der Auflösung der
Ordnung des Ortes zu Gunsten einer neuen Ordnung, eines Ortes, zu dem Raum temporär
gerinnt.
Der Raum, in dem sich die Dinge in einem Ereigniszustand befinden, ist die Domäne
einer Kunst, die sich systemisch organisiert.
Begreift man eine Stadt in Abhängigkeit von Dingen und Bedingungen außerhalb
ihrer primären tektonischen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnungen, ihrer
politischen Konstellation und ihren topografischen Mustern [wie Hauptplätzen
und -straßen, Einkaufsvierteln, Wohnbezirken etc.], dann vollzieht ihr Image,
das sie daraus bezogen, konstruiert und kultiviert hat nämlich identifizierbarer
Ort zu sein, mit dem sich seine Bewohner identifizieren können , einen
Wandel hin zu einem [wenn man so will] erratischen Ikon. Dieser im Prozess der
Globalisierung begründete Wandel hat nicht zuletzt auch eine Verlagerung
der Bedeutung ehedem urban begründeter Topografien bewirkt. Die Hauptstraße
einer Stadt ist heute weniger die Straße ins bzw. durchs Zentrum, sondern
die Anbindung der Stadt an Verkehrsadern, die Unternehmen in Sinne ihrer Ansiedelungspolitik
fordern. Für die Stadt als Ort mit zunehmend räumlichen Implikationen
gilt, was bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben verstärkt
zur Maxime wird eine Abwendung von der Orientierung an der so genannten "vertikalen
Integration", die durch Faktoren wie Löhne, Kosten von Grund und Boden,
von Energie bestimmt war, zu Gunsten einer "horizontalen Integration",
die durch Synergie gekennzeichnet ist z.B. durch in der Nähe angesiedelte
Betriebe, die günstige, zeitgerechte und qualitätsorientierte Zuliefererung
anbieten. [Das wirtschaftstheoretische Schlagwortregister hält dafür
"Kostenkonkurrenz versus Zeitkonkurrenz" bereit.] Während jedoch
"schwarze" oder "rote" Zahlen einem wirtschaftlichem Denken
zu Grunde liegenden Bewusstsein förderlich sind, die Herausforderungen des
Wandels anzuerkennen, fällt im Alltag die Erkenntnis, dass die Dinge verrückt
spielen und die lange vertraute Ordnung des Ortes, die einem Identifikation bot,
in etwas Fremdes verwandeln, naturgemäß schwerer. Die radikalen Veränderungen,
die im Gange sind, scheinen die meisten unvorbereitet zu treffen.
Für die Wirtschaft einer Region gilt allgemein, dass sie ohne Herausbildung
spezifischer Kompetenzen, die auf hoch qualifizierten Kooperationsbeziehungen
beruhen, erbarmungslos in die Globalisierungsfalle gehen. Allem Anschein nach
hält jedoch der Wandel auch für das Alltagsbewusstsein eine Globalisierungsfalle
bereit, deren Auswirkungen vor allem im Sozialen zu orten sind. Darüber hinaus
erscheinen so genannte Kulturprogramme mit ihrer Dominanz an Veranstaltungen,
die gesicherte Ästhetiken repräsentieren, oft als Indikatoren für
den Widerstand des Bewusstseins, sich in Beziehung zu einem Anderen zu setzen,
das den Ort ebenso revolutioniert wie dessen Verhältnis zum Raum. Dadurch
wird der Entwicklung der Stadt zu einem symbolischen Ort Vorschub geleistet, der
gleichsam im Widerstand gegen die zunehmende Vieldeutigkeit im Wandel der Beziehungen
beharrlich Eindeutigkeit imaginiert, während der vorgebliche Ort zusehends
zum Raum mutiert. Am Ende dieser Entwicklung bilanziert die Stadt vermutlich mit
"roten Zahlen".
Der Verweis auf Ästhetik in diesem Zusammenhang ist zuletzt dadurch motiviert,
dass nur abseits einer Kunst, die sich spätestens seit den frühen 60er-Jahren
als Medienkunst profiliert, jene mangelnde Vorbereitung relevant ist, die der
deutsche Soziologe Ulrich Beck anspricht, wenn er schreibt: "Globalisierung
revolutioniert das Selbstbild und Leitbild der Gesellschaft. Immer mehr passiert
nicht nur gleichzeitig, sondern auch an dem selben Ort, ohne dass unser Denken
und Handeln auf diesen plötzlichen Tod der Entfernung vorbereitet wäre."
Die Überraschung angesichts dieser Entwicklung stimmt umso nachdenklicher,
als sie vor allem dort schockt, wo, wie hier zu Lande, die Selbstsicht als Kulturnation,
als Kulturstadt, als Kulturregion primär retrospektiv ist und entsprechende
Programme zeitigt. Rhetorische Anstrengungen, wie sie allenthalben unternommen
werden wenn etwa Hamlets Grübeln über Sein oder Nichtsein parallel
zur Problematik Realität versus Virtualität geführt und dies als
Beleg für das "zeitlos Gültige" propagiert wird , sind ebenso
blödsinnig wie beliebt. Wo in den Schulen Medienkunde mit grammatikalischen
Analysen von Zeitungsartikeln und Vergleichen von Berichten in verschiedenen Zeitungen
betrieben wird, muss der Schock der Informationsmoderne überwältigend
ausfallen.
Es ist die primäre Eigenschaft der Medien, der sich die Kunst sowohl als
Mittel zur Erkenntnis über diese Medien und deren Effekte als auch zu ihrer
eigenen Organisation bedient, weit Auseinanderliegendes, Entferntes zusammenzubringen.
Sie tun das, ohne die Dinge konkret zu verrücken. Die Dinge bleiben zwar
an ihrem Ort, werden jedoch in Beziehung zu Dingen an anderen Orten gesetzt und
verändern so ihr Verhältnis zur unmittelbaren Umgebung.
Durch Liquid Music sollten Effekte des Wandels auch auf unsere Orientierung
im Alltag als Bedingungen vermittelt werden, welche die mediensystemischen Künste
als die Ihren anerkennen. Judenburg ist dabei Schauplatz und "Ressource"
zugleich.
Heimo RANZENBACHER
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